Pressemitteilung vom 11. Januar 2021 an die „junge Welt“

Offener Brief der Antiklassistischen Assoziation zum Artikel „Lasst uns alle reich sein!“ von David Pape am 02.01.2021

Liebe Leute von der Jungen Welt,

wir, die Antiklassistische Assoziation, sind ein informeller Zusammenschluss von Menschen aus der Arbeiterinnenklasse oder auch mit nicht-akademischem oder materiell-armem Familienbackground, die u.a. auch in Arbeiterinnenkinder-Referaten an Hochschulen und als Bildungskollektive und Politgruppen organisiert sind. Wir melden uns wegen des Artikels „Lasst uns alle reich sein!“ von David Pape am 02.01.2021.
Der Artikel thematisiert das Phänomen und den Begriff des Klassismus und wirft ihm und seinen Vertreterinnen vor, „…statt Armut in einen systematischen Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Klassenteilung zu bringen…“, Armutsverhältnisse zu individualisieren und damit wäre dies „…der Versuch einzelner, mittels moralischer Vorwürfe an seinen/ihren Fair Share zu kommen.“ Wir möchten gar nicht allzu sehr auf diesen polemischen, auf unqualifizierten Recherchen basierenden und unlogischen Artikel eingehen. Unter anderem die Sätze „ Skandalisiert wird nämlich [mit Bezugnahme auf das Konzept des Klassismus] meistens nicht, dass Menschen in Armut leben, sondern dass mit diesen Menschen anders (bzw. schlechter) umgegangen wird“ und „Durch die fehlende Thematisierung der Ursachen wird die Ohnmacht aber für jene naturalisiert, die am unteren Ende der Gesellschaft aufwachsen. Ihre Armut taucht nur noch in den Menschen, aber nicht mehr in den Verhältnissen als systematische Bedingung auf“ deuten anscheinend auf ein Missverständnis hin, welches dringend aus dem Weg geräumt werden sollte. Der Begriff „Klassismus“ ist ein Begriff kollektiver Organisierung. Wir befassen uns ausgiebig mit strukturellen Zusammenhängen von Klasse und Kapital. Unsere Kritik richtet sich an dieses System und die daraus sich konstituierenden ungleichen Machtverhältnisse aus dem kapitalistischen System heraus. Wir erweitern den Diskurs über Klassenkampf um die Dimension der Diskriminierung, um auf das Phänomen der systematischen Klein-Haltung von Menschen zum Zweck der Machtsicherung der hegemonialen Strukturen aufmerksam zu machen. Ehrlich gesagt stehen wir fassungslos vor dem Phänomen, dass unsere kollektive Selbstorganisierung einerseits totgeschwiegen wird, während uns gleichzeitig unpolitisches „Jammern“ vorgeworfen wird. Wir erkennen an, dass ihr, JW, zu den wenigen Publikationsorganen gehört, die überhaupt über unsere Organisierung an Hochschulen berichtet haben. Aber gerade dann solltet ihr nicht Artikel durchwinken, die auf falschen Annahmen beruhen. Wem soll eine solche überflüssige Debatte nutzen? Wir führen gerne eine kontroverse Debatte, die nach vorne bringt. Aber wir sind es leid, uns immer und immer wieder gerade auch im marxistischen Umfeld mit faktenbefreiten Vorurteilen herumschlagen zu müssen, die nichts anderes zeigen, als dass sich nicht mit unseren Inhalten auseinander gesetzt wird. Wir sind eine Assoziation von Aktivistinnen, u.a. auch von verschiedenen Vollversammlungen von working class studies offiziell gewählten Organen, und wir arbeiten mit dem Begriff „Klassismus“ nicht, um zu „jammern“, sondern um solidarisch eine klassenlose Gesellschaft ohne Diskriminierungen zu erkämpfen. Dabei ist eines unserer Ziele, ein bundesweites Bündnis gegen Klassismus zu gründen.
Klassismus richtet sich nicht nur gegen die soziale Herkunft und ist nicht nur im Bildungssystem tief verankert, sondern richtet sich auch gegen Menschen, um sie in Armut oder prekären und ausgebeuteten Arbeitsverhältnissen zu halten, gegen Menschen, die aufgrund ihres Hartz IV Bezuges ausgegrenzt, und wohnungslose Menschen, die stigmatisiert werden, was der systematischen Reproduktion von Unterdrückung und Ungleichheit Vorschub leistet.
Bei Klassismus geht es um die Auflösung von extremer Ungerechtigkeit, von Stigmatisierung, Ausbeutung und Verachtung und um eine Thematisierung von systematischer Diskriminierung von Menschen(-gruppen) in unserer Gesellschaft. Dabei wird davon ausgegangen, dass Ungleichheitsverhältnisse insgesamt bekämpft werden müssen. Hierbei handelt es sich sowohl um Beispiele wie unterbezahlte Arbeitskräfte, die unter menschenverachtenden Bedingungen ackern oder Hartz IV Empfänger*innen, die unterhalb der Armutsgrenze leben – vom Jobcenter drangsaliert/sanktioniert und von der Gesellschaft verachtet – als auch um Unterdrückung von Menschen aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht, Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit, die in unserer Gesellschaft deklassiert werden wenn sie nicht auf der richtigen Seite der Machtverhältnisse stehen. Grundlage für eine weitere Diskussion zum Thema Klassismus wäre für uns die Anerkennung unserer inhaltlichen Diskursbeiträge und unserer Organisiertheit. Dass unsere Organisierung trotz Verankerungen in Studiparlaments-Satzungen und vielfältiger bundesweiter Informations- und Bildungsveranstaltungen und-Aktionen weniger bekannt ist als bspw. das Sozialunternehmen Arbeiterkind.de, hängt auch mit den klassistisch-bürgerlichen Medien zusammen, die es lieber unpolitisch haben. Wir erwarten von progressiven Medien, dass sie dem entgegen arbeiten. Schafft Vorurteile aus der Welt, indem ihr konstruktiv-kritisch über uns berichtet, und dann, auf der Anerkennung dieser materiellen Grundlage, möchten wir sehr gerne politische und kontroverse Diskussionen über Marxismus und Klassismus führen. Anstatt von den „jammernden“ Antiklassismus-Aktivisten*innen zu sprechen, wäre es deutlich solidarischer, wenn wir in unserem Tun und unserer Zielsetzung positiv bestärkt, herausgefordert und unterstützt würden.

Antiklassistische Assoziation
Referat fur antiklassistisches Empowerment (fakE Köln)
Referat für Sozial Finanziell Kulturell benachteiligte Studierende (SoFiKuS Marburg)
Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende (fikuS Münster)
Anti-Klassismus-Referat StuVe LMU München
Dishwasher – Magazin von und für Arbeiter*innen|kinder
kikk – klassismus ist keine kunstepoche
Institut für Klassismusforschung
Pressekontakt: mail@kikk-bildungsban.de